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Leseprobe aus „Die Methode Cortés – Band II“ – Szene 82, 83 und 84


82 Surreal


Die Hafeneinfahrt war beeindruckend. Um uns herum wimmelte es von Fischkuttern. Mit den Positionsleuchten der meisten dieser Boote hatte ich wahrscheinlich in den letzten Nächten Bekanntschaft geschlossen. Wir näherten uns einer hohen Mole, die mit einer konfus wabernden Menschenmenge gefüllt war. Eine Eskorte dreier Kutter schloss sich uns an, auf denen mit sinnlosen Verrichtungen beschäftigte Besatzungen – von lautstarken Befehlen diverser Kapitäne untermalt – orientierungslos durcheinanderwirbelten.

An der Anlegestelle stand ein Polizist in imposanter Phantasieuniform (Schärpen, Orden, Trallala), der unaufhörlich in eine Trillerpfeife blies und dabei mit dramatisch dirigierenden Handzeichen und wurmig windenden Armbewegungen Anweisungen gab, die ich nicht im Entferntesten zu verstehen vermochte. Auch die Besatzung des Rettungsbootes hatte sich dem kollektiven Aberwitz angeschlossen und rannte aufgeregt gackernd an Bord hin und her. Schließlich erreichten wir die Mole.

Von allen Seiten wurden nun Seile zu uns geworfen und – auf die trillerpfeifenuntermalten Order des mysteriösen Polizisten und die Befehle der zahlreichen Kapitäne hin – wieder eingeholt und in neue Richtungen geschleudert. Ich ließ das Treiben geschehen, hielt mich zurück – ich verstand sowieso nicht, was das Ganze sollte – und achtete darauf, den Bootshaken prophylaktisch in der Hand, dass mein Boot in dem Chaos nicht beschädigt wurde.

In einem organisch anmutenden Prozess sich aufrollender und einziehender Seile formte sich nach und nach zwischen dem Rettungsboot, meinem Schiff und dem Pier eine Vernetzung, welche sich sacht – einer atmenden Spinnwebe gleich – in harmonischen Wellen kontrahierte und uns – mehr und mehr an Tonus aufnehmend – im Rhythmus der schauerlich wogenden Trillerpfeifenondulationen in eine feste Position an den Landungsplatz zog.

Inzwischen war eine Delegation evidenter Eminenzen – die Menschenmasse stob respektvoll um die Spektabilitäten auseinander – auf der Mole erschienen. Manch einer dieser Würdenträger trug einen Anzug. Andere waren in Uniform gekleidet. Die Trillerpfeife des Polizisten verstummte, nachdem sich die Gesandtschaft den Weg zum Rand des Kais gebahnt hatte. Es kehrte Ruhe ein.

Der Kapitän des Rettungsboots stieg, seinen strammen Hintern wie eine Abrissbirne hin und her schwingend, an einer wackeligen Eisenleiter zu der Deputation hinauf, schüttelte, sich Bierbauch–zu–Knie–tief verbeugend, jedem der Honoratioren die Hand, und erstattete, die Rechte wie zum Salut an seine „Schaffnermütze“ gepresst, Bericht. Mir fiel ein Herr in der Mitte der Abordnung auf. Er war in einen schwarzen, eleganten Anzug gekleidet und ragte schlank und groß über die anderen hinaus. Der Herr war etwa vierzig Jahre alt und fast feminin hübsch. Den Erläuterungen des Kapitäns anscheinbar nicht zuhörend, schaute der Herr mit schneidend distinguiertem Blick zu mir herunter.

Bedächtig bewegte sich der Herr zur Kante der Mole; fast schien er zu schweben. Die anderen Emissäre wichen ihm nervös aus. Seine linke Hand steckte lässig in der (linken) Hosentasche(, der seinen). Eine Zigarette, an der er ab und an angewidert zog, hielt er in der Rechten. Den Rauch stieß er scharf nach rechts aus. Der Kapitän blieb gebeugt im Nebel an der Seite des Herrn stehen und führte eifrig den Bericht fort. Der Herr im schwarzen Anzug schüttelte bisweilen geistesabwesend den Kopf. Auf einmal gab er, der Herr, das Haupt sanft nach hinten neigend und mich dabei fixierend, dem Kapitän zwei knappe, mit einem dezenten Zeig der Zigarette untermalte Befehle.

Die Situation hätte unter anderem als bedrohlich wahrgenommen werden können. Ich war jedoch zu müde, sie so zu empfinden. Das Groteske blieb mir indessen nicht verborgen. Es erfüllte mich geradezu. Gespannt sah ich der nächsten Szene entgegen.

Der Kapitän rannte, nachdem ihm der Herr im schwarzen Anzug die Anweisungen zugehaucht hatte, zu der zu dem Rettungsboot führenden Leiter. Die Augen des Herrn blieben unterdessen starr auf mich gerichtet. Er zog besonnen und endlos tief an seiner Zigarette, während der Kapitän hurtig mit seiner devot schwingenden Abrissbirne zu den Besatzungsmittgliedern und mir auf das Schiff herabkletterte. Als der Kapitän bei den Männern war und begann, ihnen die Order, die ihm der Herr geheißen habe, zu verkünden, blies dieser den Rauch behutsam aus. Die Besatzung nickte still und schaute ehrfurchtsamsvoll zu den Dampfschwaden empor.

Der Kapitän kam mit ernster Miene auf mich zu. Er blieb einen Meter vor mir stehen, rückte sich die Schaffnermütze zurecht, schnaufte gewichtig und getragen, und ließ mich wissen, ich solle mit nach oben kommen. Man wolle mich befragen.


83 Das Verhör


Ich sorgte mich nicht, war lediglich ein Häuchlein irritiert, dass sich mein Begrüßungsbier verschöbe. Obendrein war ich müde und wollte bald in mein Bett. Wir stiegen hinauf in den würzig duftenden, über uns schwebenden Dunst aus dem Munde des Herrn, der uns mit kühler Miene entgegensah. Oben nahm mich der absurde Polizist grimmigen Blickes in Empfang. Ich zählte seine Orden nicht. Zwei Dimissionäre in Uniform und der Kapitän des Rettungsbootes gesellten sich zu uns.

Wir gruppierten uns nun in vektorieller Formation, die sich unmerklich in Gang setzte, und unser Zug bewegte sich gemessenen Schrittes durch die sich vor uns wie vor einem Schneepflug aufspaltende Menge auf ein Haus zu. Auf dem Weg reckte ich meinen Hals und versuchte herauszufinden, ob noch eine Kneipe geöffnet sei. Ich konnte weit und breit nichts dergleichen ausmachen, ausschließlich Lagerhallen, Produktionsstätten, Kräne, Kisten. Alles war hier der Fabrikation gewidmet. Die Anlagen waren groß, finster und nicht nur im Ansatz verfallen. Sie wirkten wie aus einer anderen Zeit und wie aus einer anderen Welt und ein wenig auch wie aus einer anderen Dimension. Phasenverschoben. Beklemmend schön. Konturen schienen dunkel zu glühn. Ich war fasziniert.

Endlich standen wir vor dem Haus, das wir angesteuert hatten. Es mutete „offiziell“ an. Schräg über die Eingangstür genagelt hing ein gewaltiges Schild, auf dem ein prächtiges Wappen und mächtige arabische Lettern prangten, die den Nahenden Demut aufzustempeln schienen. Wenigsten senkten sich die Häupter meiner vektoriellen Formationsgenossen leicht, als die Pforte sich auftat. Wir traten ein.

Mich nicht grob, doch bestimmt am Arm haltend, führten mich zwei Uniformierte in einen Raum. Dort baten sie mich, mich auf einen Stuhl zu setzen. Es war einer von acht wackeligen Stühlen, die um ein kümmerliches Tischchen herum aufgestellt waren.

In einer Ecke des Raums stand ein hellbraun laminierter Schreibtisch, hinter diesem ein schwarzer, auf sechs druckentbremsbaren Hartbodenrollen ruhender Bürodrehstuhl mit asynchron gekoppelter, fixierbarer Kniewippmechanik, aktiv–dynamischer Lordosestützung und ergonomischer Netzbespannung. Der Schreibtisch wirkte verloren. Auf ihm befand sich nichts außer einem Stehkalender von 1998. Oder war es 1898? Egal: An der Wand hinter dem Schreibtisch prunkte in goldglitzerndem Rahmen ein Schriftstück in arabischer Sprache. An der gegenüberliegenden Wand hing eine melancholisch vor sich hin tickende Bahnhofsuhr. Ansonsten waren die Wände blank. Ihr gelbliches Weiß wurde fahl von einer zu schwachen, an der Decke festgeschraubten Neonröhre, die schief hing, ausgeleuchtet.

Der Kapitän setzte sich rechts neben mich. Mir gegenüber nahm einer der uniformierten Männer Platz. Der andere Uniformierte setzte sich auf den Bürodrehstuhl hinter dem Schreibtisch. Der absurde Polizist blieb an der Tür stehen.

Ich schaute mir die Männer jetzt genauer an. Die beiden Uniformen aus der Delegation unterschieden sich in einigen Details. Diese Autoritäten mussten verschiedenen Organisationseinheiten angehören. Die mir gegenübersitzende Uniform trug puschelartige Strukturen auf den Schultern. Ich bemerkte keine in den Puscheln nistenden Vögel. Auch sonst keine. Vögel. Oder Brutstätten. Die Uniform der anderen Uniform war deutlich schlichter, die des Absurden absurd, die Uniform. Er stand stramm an der Tür und starrte die gegenüberliegende Wand an. Das Schwarz seiner Augen schien zu verströmen. Niemand sagte etwas.

Die Bedeutung der Situation war mir nicht klar. Wir warteten, glaube ich, auf etwas. Oder jemanden. Oder auch irgendjemanden. Und schwiegen, nach wie vor. Ich unterbrach die Stille vorsichtshalber nicht. Der Schreibtisch war zu meiner Rechten. Unverhofft hörte ich aus seiner Richtung eine raschelnde Aktivität und wandte meine Augen nach dort.

Der Träger der schlichteren Uniform hatte sich zur rechten Seite des Schreibtisches gebeugt und fummelte im Untergrund. Zum Vorschein kamen ein Block und ein Bleistift. Beides legte der Schlichtere sorgfältig und in perfekter Symmetrie vor sich auf den Tisch, den Bleistift exakt unter den Block und die Gesamtkomposition präzise in der Mitte der Schreibtischplatte platzierend, und nun platziert. Der Schlichttragende räusperte sich und stierte auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand. Jene tickte.

Sein Blick ließ die Uhr nicht mehr los. Dieser oder jener oder vielleicht auch beide schienen das Vergehen jeder Sekunde zu kontrollieren. Die Zeit verrann vorschriftsgemäß und schlicht, denn im Gesicht des schlichter Uniformierten war keine Regung wahrzunehmen.

Plötzlich hörte mandraußen Stimmen. Ein synchronisierter Ruck durchflutete die Insassen des Raums. Der Absurde tat einen Schritt zur Seite. Es schien, als hätte jener das Schwarz seiner Augen neben sich gelassen. Doch da strömte es wieder, aus diesen. Und die Tür öffnete sich.

Herein trat der Herr im schwarzen Anzug, gefolgt vom Rest des Gremiums. Der Uniformierte hinter dem Schreibtisch, der schlicht Uniformierte also, sprang auf, zerrte den ergonomischen Bürodrehstuhl eilig nach vorne und schob diesen in das Sitzrund. Er, der schlicht Uniformierte, griff sich einen der klapprigen Stühle, schlich mit diesem schlicht und einen Buckel machend hinter den Schreibtisch und setzte sich. Ebenso schlicht.

Die Delegation blieb an der Tür stehen. Die Herrschaften sahen mich argwöhnisch an. Der Schlichtuniformierte schien mit dem, was er getan oder gemacht hatte, schlicht nicht zufrieden zu sein. Abermals kam er buckelig und schlicht hervorgeeilt. Nachdem er die Stühle in größtmöglicher, doch schlichter Symmetrie um das Tischchen herum angeordnet hatte, huschte er, erneut buckelig und schlicht, hinter den Schreibtisch zurück, setzte sich in eine gerade Position, und nahm den Bleistift schlicht in die Hand.

Der Herr im schwarzen Anzug ließ sich im Stuhlkreis mir schräg links gegenüber auf dem flexibel fixierbaren Bürostuhl – rechts neben dem schon vorher anwesenden puschelig Uniformierten – nieder. Nun nahmen auch die anderen Abgeordneten ihren Platz ein.

Der Schlichtuniformierte beugte sich schlicht zum linken Ende des Schreibtischs hinab, kramte wieder, richtete sich wieder schlicht auf, und hielt jetzt ein Blatt und einen weiteren Bleistift in Händen. Der Wenigerschlichtuniformierte mit den Schulterpuscheln gab ein wenigschlichtes, flatterndes Handzeichen. Wollte er schlicht mit einem Flügel fliegen? Der Kapitän stand auf und beugte sich zum Pult, um das Blatt und den zweiten Bleistift in Empfang zu nehmen. Beides legte der Kapitän vor mir ab und bat mich, das Formular auszufüllen.

Ich betrachtete den Zettel, einen zweisprachigen Fragebogen, auf dem horizontal orientierte, längliche Kästchen untereinander (aber nie nebeneinander!) aufgedruckt waren. Jedes Kästchen war am rechten und am linken Rand beschriftet. Die jeweiligen Anweisungen in Französisch auf der linken Seite korrespondierten offenbar mit den auf die rechte Seite gekritzelten Anweisungen in Arabisch. Der Vordruck erfragte Personalien und Daten zur Yacht des Ausfüllenden. Unten war das Blatt zu signieren. Ich füllte es aus, nahm es zur näheren Überprüfung der Korrektheit meiner Angaben in die Hand, und legte es erwartungsvoll auf der Mitte des Tischchens ab – bedachtsam darauf achtend, dass es, das Blatt, nicht auf den Boden falle.

Der neben dem Herrn im schwarzen Anzug sitzende Puscheluniformierte bat mich, meinen Pass und die Bootspapiere vorzulegen. Ich hatte alles bei mir und legte die Dokumente auf das Tischchen. Der andere, zur Rechten des Herrn sitzende Uniformierte, nahm die Urkunden. Dieser beäugte diese gewissenhaft mit finsteren Blicken. Ohne die geringste mimische Veränderung reichte er die Sachen seinem rechten Nachbarn, der diese ebenfalls aufs Gründlichste inspizierte. Jetzt war ich an der Reihe. Ich verzichtete auf eine erneute Durchsicht (ich kannte die Papiere) und gab das Bündel mit zugewandtem Lächeln an den Kapitän, der mein Lächeln nicht erwiderte, weiter. Schließlich endeten die Unterlagen, einen zentrifugalen Umweg über den Schreibtisch nehmend, in den Händen des Herrn im schwarzen Anzug.

Der Herr ließ sich mit der Revision Zeit. Bisweilen schaute er mit kritischer Miene zu mir herüber. Ich sah ihn interessiert an. Nach einer Weile nickte er ausdruckslos und legte die Dokumente auf das Tischchen. Ich wollte die Papiere einstecken, doch der zur Linken des Herrn sitzende Puscheluniformierte gebot mir bestimmt mit einer bremsenden Handbewegung Einhalt. Ich lehnte mich zurück und überlegte, ob ich etwas Illegales bei mir hatte.

Der Herr im schwarzen Anzug lächelte mich freundlich an und stellte sich mit einer milden, angenehmen Stimme vor. Ich erwiderte das Lächeln des Herrn und stellte mich ebenfalls vor. Daraufhin schwang er die rechte Hand nach außen, als wollte er mir winken. Sie schwebte harmonisch zurück, verschwand in Richtung Innentasche seines Sakkos und zog ein silbernes Zigarettenetui hervor. Der Herr öffnete dieses lautlos, nahm sich vorsichtig und in aller Seelenruhe eine Zigarette heraus, schloss dieses sorgsam, und klopfte die Zigarette zart auf dem Etui ab. Dann steckte er es behutsam in die Sakkotasche, in der es sich zuvor befunden hatte. Die rechts neben dem Herrn sitzende Uniform war schon aufgesprungen und hielt, gebeugt und die Pobacken zusammengekniffen, ein Feuerzeug unter das mundabgewandte Ende der Zigarette. Als dieses Flämmchen–umlodert war, zog der genüsslich an dieser und erläuterte in bestem Französisch, man müsse mir einige Fragen stellen.

Der Herr im schwarzen Anzug wirkte sehr fein. Jener war vom Hauch des Geheimnisvollen umgeben. Irgendwie mochte ich die drei oder vier. Besonnen und freundlich, fast fürsorglich, stellte der Herr mir seine Fragen. Nach meinem Geburtsdatum, meinem Geburtsort, dem Namen meines Schiffes, dem Ausstellungsort meines Passes. Alles Dinge, die in den vor uns liegenden Papieren standen.

Ich beantwortete jede Frage mit wohlwollender Teilnahme. Meine Müdigkeit war inzwischen verschwunden. Mir machte das Spiel Spaß! Schließlich erkundigte sich der Herr nach der amtlichen Registriernummer meines Bootes. Ich antwortete, dass ich mich an sie nicht erinnerte, ich allerdings in meinem Flaggenzertifikat nachsehen könne. Ich beugte mich vor, um es in die Hand zu nehmen, doch er bedeutete mir mit gefälligem Lächeln:

„Ist schon gut.“

Nun lehnte er sich zurück und gab ein segnendes Handzeichen in die Runde, woraufhin die anderen begannen, mich auszuhorchen.

Die Unterhaltung zog sich. Währenddessen nahm der Schlichtuniformierte in aller Schlichtheit, doch fleißig, Notizen auf auf seinem schlichten Block. Die anderen fragten mich kreuz und quer durcheinander, wie viele Geschwister ich hätte, über welchen Eintrittshafen ich nach Marokko gekommen sei, wer meine Eltern seien, warum ich das Rettungsschiff gerufen hätte, was für einen Beruf ich ausübte und so weiter. Für meinen Geschmack waren diese Leute teilweise ein bisschen zu neugierig. Ich hoffte, sie überprüften mich nicht noch auf mein Liebesleben. Ich wollte mich jedoch nicht provozieren lassen und blieb ruhig und freundlich. Mir fiel dies leicht, denn ich wurde wieder müde.

Gerade, bevor ich eingeschlafen war, hielten sie inne und schauten umher und sich gegenseitig an, bis der Herr im schwarzen Anzug ernst und einer nicht formulierten Frage zustimmend nickte. Der Herr nahm die Papiere und hielt mir diese lächelnd hin. Nach einem Zögern sagte er:

„Ihre Papiere, Monsieur Zucker. Vielen Dank für Ihre Geduld. Herzlich Willkommen in Marokko. Beziehungsweise: Seien Sie abermals herzlich Willkommen in Marokko.“

„Merci beaucoup“, neigte ich lächelnd meinen Kopf zur Seite.

„De rien“, er, der Herr, den seinen ebenso. Er, der Herr, ergänzte: „Wenn Sie irgendetwas brauchen, lassen Sie es mich bitte wissen.“

Ich hatte keine Ahnung, wie dies zu bewerkstelligen sei – der Herr hatte mir seine Visitenkarte nicht zugesteckt und an seinen Namen erinnerte ich mich nicht und auch wollte ich das Gespräch an dieser Stelle nicht weiter vertiefen –, aber ich antwortete:

„Dieses Angebot ist sehr nett. Danke schön.“

Der Herr nickte freundlich lächelnd und erklärte:

„Falls Sie Hilfe mit Ihrem Motor benötigen, wenden Sie sich bitte an unseren Mohamed.“ Des Herren Hand wies auf den Kapitän. Jener fuhr fort: „Er kann Ihnen gute Mechaniker empfehlen.“

„Das trifft sich! Auf diese Hilfe komme ich gerne zurück.“

Der Herr erläuterte weiter:

„Und sagen Sie auf der Polizeistation im Hafen Bescheid, wenn sich jemand an Sie wendet oder etwas von Ihnen will. Da müssen Sie aufpassen! Marokko ist ein wunderschönes und gutes Land. Aber es gibt hier leider einige sehr gefährliche Kriminelle. Also Vorsicht! Halten Sie uns auf dem Laufenden!“

„Danke für den Hinweis.“

„Bitte. Au revoir, Monsieur Zucker.“


84 Sah ein Knab ein Döslein stehn


Die Gesellschaft löste sich auf, das Bild wurde sehr bewegt. Die Herrschaften schüttelten einander die Hände und tauschten lachend von mir nicht verstandene Freundlichkeiten aus. Nach und nach leerte sich der Raum bis auf den Kapitän, den Schlichtuniformierten und mich. Ich schaute die zwei fragend an. Der Schlichtuniformierte – er stellte sich als Chef der Hafenpolizei vor – wiederholte die Empfehlungen, die mir der Herr im schwarzen Anzug gegeben hatte.

Der Chef hatte sogar schon mehrere, Mechaniker betreffende Vorschläge, meinte dann aber, wir besprächen das besser am Morgen. Ich müsse müde sein, nach den ganzen Tagen auf See, und wolle jetzt bestimmt schlafen. Da hatte der Chef recht. Ich war katzenmüde und konnte der Unterhaltung kaum noch folgen. (Meine Französischkenntnisse hatten sich durch meinen Aufenthalt in Smir zwar verbessert, waren in ihrer Abrufbarkeit freilich noch arg für Vigilanzschwankungen anfällig.)

Wir gingen nach draußen. Der Chef der Hafenpolizei schüttelte mir die Hände, hieß mich noch einmal mit einem offenen Lächeln in Marokko willkommen, und wünschte mir eine gute Nacht.

Ich ging mit dem Kapitän zur Mole. Dort duckte er sich, seinen Schwerpunkt von seiner Abrissbirne in seinen Bauch verlagernd, zu mir und erklärte mit furchtvollem Blick und leiser Stimme, der Herr im schwarzen Anzug sei der Polizeichef von Kenitra gewesen. Von solcher Prominenz begrüßt worden zu sein, schmeichelte natürlich. Der Kapitän ließ mich noch wissen, ich könne mein Boot vorerst so liegen lassen, wie es liege, und wir verabschiedeten uns, und zwar voneinander. Ich stieg die endlose Leiter hinab zu meiner Smuk.

Aus meinem kühlen Bierchen war leider nichts geworden. Oder doch? – Bier, Bier, Bier!, hechelte es in mir. – Zum Glück sah ich in einem Vorratsschrank noch ein lecker Döslein stehn. Es war samt Inhalt nicht gekühlt, aber dieses Manko störte mich in diesem Augenblick nicht. Ich öffnete das Döslein, lehnte mich müde auf meiner Koje zurück, und nippte genüsslich an meinem köstlichen Bier. Offenbar musste ich für die Bergung nichts bezahlen. Ich war beruhigt und schlief ein.

Tatsächlich musste ich nichts bezahlen. Wie ich später erfuhr, sei der ausschlaggebende Punkt gewesen, dass ich mich an Bord des Schiffes befunden hätte, ohne fremde Hilfe nicht weitergekommen wäre, und möglichen Kollisionen schutzlos ausgeliefert gewesen sei. Das Ganze sei insofern eine richtige Rettungsaktion gewesen, nicht lediglich die kostenpflichtige Bergung eines Schiffes.

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