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Leseprobe aus "Daniel Wolters seltsame Reise zwischen den Zeilen" - Szene 32

32 Ehealltag


Zuhause ließen es die Wolters erst einmal ruhig angehen und erfreuten sich ihres Ehelebens, dem Charlotte sofort nach den Flitterwochen einen außerordentlich angenehmen Rahmen gab, indem sie die Wohnung (sie hatten sich nun endgültig entschieden, in Daniels vier Wänden zu bleiben) mit allerlei Blumenstöcken, Lichterketten, Springbrunnen und entzückenden Figürchen dekorierte, ein Designkonzept, das sie schon für den Gemeinschaftsraum und das Bad ihrer vormaligen WG (gegen alle Widerstände durchgesetzt und) zur Perfektion entwickelt hatte. Für Daniel war dieses neue Ambiente in seiner Wohnung zwar ungewohnt (vor lauter Figürchen wisse er gar nicht mehr, wohin mit seinen Müslischälchen), gelegentlich auch ein wenig mühsam (immerhin habe er sich bereit erklärt, die Blumen einmal pro Monat zu gießen!), aber er wusste die vollendet komponierte gestalterische Veredelung seines Zuhauses zu würdigen (was wäre ihm denn auch sonst übriggeblieben?), ja, er genoss sie sogar (eben!).

Allmählich rieselten allerdings auch die minder vergnüglichen Seiten des Alltags in die Realität der beiden. Nach dem gemeinsamen Frühstück ging Charlotte zur Arbeit, während sich Daniel an den Schreibtisch hockte und wie im Wachkoma den Bildschirm anstarrte. Das Manuskript wollte indessen keine Fortschritte machen. Zwar hatte er schon ein bisschen Text da stehen, doch der war ja im Grunde nicht auf seinem Mist gewachsen und Neues hatte Brittney offenbar nicht zu berichten. So stellte sich für Daniel schnell wieder der Frust ein, und das bedrückte auch Charlotte. Gerne hätte sie gesehen, dass es für ihren Daniel voranginge und sich endlich seine beruflichen Träume erfüllten.

Einmal, als Charlotte von der Arbeit nachhause kam, sah sie Daniel reglos wie eine umgefallene Schaufensterpuppe unter dem Schreibtisch liegen. – Mein Gott, was war geschehen? – Sie stürzte sich auf ihn, rüttelte ihn an den Schultern und schrie:

„Daniel! Daniel!“

„Hm? Was ist los?“, blinzelte er träge.

„Das würde ich gern von dir wissen! Mann, hab ich mich erschrocken! Ich dachte, dir sei was passiert! Was machst du denn da unten?“

„Ich meditiere.“

„Du meditierst?“

„Ja. Hatte heute wieder eine schöpferische Pause und da hab ich mir überlegt, dass Meditation vielleicht hilft. Schon seit vier Stunden meditiere ich hier verzweifelt, aber mir fällt einfach nichts ein.“

„Also, ich kann mir das wirklich nicht mehr mit ansehen. Du quälst dich zu sehr, mein Schatz!“

„Mir fällt halt nix ein.“

„Schreib doch was anderes.“

„Was?“

„Einen Ratgeber zum Beispiel.“

„Einen Ratgeber?“

„Genau.“

„Über was denn?“

„Über Hunde!“

„Hunde mag ich nicht. Außerdem gibt’s davon schon so viele.“

„Eben deshalb braucht man auch viele Hunderatgeber.“

„Die meinte ich doch, die Hunderatgeber.“

„Ach so. Hm. Da fällt mir was anderes ein: Du könntest einen Ratgeber über Probleme beim Auswandern schreiben.“

„Auswandern?“

„Ja, dass man zum Beispiel besser nach China als nach Amerika auswandert. Ich fand das sehr interessant, was du mir da mit den Chinesen und Amerikanern erzählt hast, dass die einen Schlaganfall bekommen und dann Chinesisch reden. So was hab ich vorher noch nie gelesen. Und meine Freundinnen auch nicht. Und die haben schon viel gelesen. Und ich auch!“

„Erstens betreiben Chinesen, soweit ich informiert bin, eine eher restriktive Einwanderungspolitik. Zweitens hast du das mit den Amerikanern und Chinesen letztens glaube ich in den falschen Hals gekriegt.“

„Wieso?“

„Na, das waren Chinesen, die nach Amerika eingewandert sind und dort einen Schlaganfall bekommen haben.“

„Aber es könnte doch auch sein, dass Amerikaner nach China einwandern und dann dort einen Schlaganfall bekommen“, gab Charlotte zu bedenken.

„Ja, die würden dann allerdings nicht Chinesisch reden, sondern Amerikanisch.“

„Ach, die würde man also verstehen? Warum das denn?“

„Nein, die Chinesen würden die auch nicht verstehen, weil sie dann Amerikanisch reden.“

„Wer? Die Chinesen?“

„Nein, die Amerikaner.“

„Das versteh ich jetzt nicht.“

„Das ist doch ganz einfach: Wenn ein Amerikaner in China einwandert, reden alle dort natürlich Chinesisch. Nur wenn der Amerikaner einen Schlaganfall bekommt, redet er Amerikanisch, was die anderen dann allerdings nicht verstehen.“

„Wie? Hat der Amerikaner denn vorher kein Amerikanisch geredet.“

„Doch, aber wenn er nach China eingewandert ist, hat er doch Chinesisch lernen müssen.“

„Aber das ist doch sehr interessant! Wäre das nichts für einen Einwanderungssprachenratgeber?“

„Ach, Charlotte, lassen wir das besser mit dem Ratgeber. Ich glaube, das ist zu kompliziert.“

„Stimmt, da hast du recht.“

„Danke“, schnaufte er.

„Bitte“, nickte sie. Daniel konzentrierte sich, um die nötige Energie für das Aufstehen zu sammeln. Charlotte betrachtete ihn nachdenklich und ergänzte: „Aber gerade weil Chinesisch so kompliziert ist, brauchen die Leute doch eigentlich einen Ratgeber. Vor allem die Amerikaner.“

„Charlotte!“

„Ja?“

Wie auch an diesem Tag verstand es Charlotte meist gut, Daniel aus der Tristesse seiner Schaffenspause zu reißen. Doch wurden diese lichten Momente im Alltag der beiden seltener.

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